Mittelpunkt des bürgerlichen und politischen Lebens in Recklinghausen war und ist der Altstadtmarkt im Zentrum. So war er auch ein Spiegelbild der radikalen Umwälzung des Jahres 1933 und deren Folgen:
Am 26.02.1933, eine Woche vor der letzten freien Reichstagswahl, versammelten sich noch einmal Tausende zur „Freiheits-Kundgebung“ für den „Christlich, nationalen und sozialen Volksstaat“. Diese Kundgebung katholischer Arbeiter- und Jugendverbände und der christlichen Gewerkschaften mit deren Landesgeschäftsführer Jakob Kaiser MdL als Hauptredner war die letzte Großveranstaltung „gegen Diktatur und Gewalt“.
Nachdem bereits der Wahlsieg der Hitlerkoalition am 05.03.1933 auf dem Markt gefeiert worden war, bot die reichsweite Inszenierung des „Tages von Potsdam“ am 22.03.1933 Anlass, den neuen Geist und Machtanspruch zu demonstrieren. Feldgottesdienste beider Konfessionen in der Polizei-Reithalle auf der Cäcilienhöhe, Marschformationen und Fackelzüge von Polizei, Feuerwehr, nationalen Verbänden wie Kriegsvereinen, Stahlhelm und SA-Formationen zelebrierten zunächst das Miteinander von konservativ-nationalem Gedankengut und nationalsozialistischem Anspruch. Das demokratische Schwarz-Rot-Gold war bereits den kaiserlichen Farben Schwarz-Weiß-Rot und der Hakenkreuzfahne gewichen, aber noch wollte und durfte der deutschnationale Reichstagsabgeordnete Dr. Joseph Borchmeyer in der Hauptrede auf dem Markt die „große deutsche Führergestalt“ preisen; im Juni beim Parteienverbot wurde der vormalige Koalitionspartner bereits vom Polizeipräsidenten verwarnt.
In das Pathos allgemeiner vaterländischer Begeisterung fiel aber schon unübersehbar die Brutalität der Ausgrenzung. Die nationale Beflaggung am Kaufhaus Althoff der Karstadt AG wurde heruntergerissen und bereits am 28.03.1933 besetzten SA-Posten mit Schildern „Kauft nicht bei Juden!“ die Eingänge. Der offizielle „Boykott-Tag“ am 1. April 1933, bei dem die NSDAP geschickt die Existenzängste mittelständischer Einzelhändler gegen die Kaufhäuser mit antisemitischer Agitation verband, spielte sich auch in den Geschäften der Innenstadt ab, von denen einige schon seit Tagen geschlossen waren. „Deutscher kauf nicht bei Juden. Wer bei Juden kauft ist ein Volksverräter“ prangte auf dem großen Transparent über der Breite Straße am Eingang zum Markt.
Prägend aber wurden für viele Zeitgenossen Veranstaltungen von „hochlodernder nationaler Begeisterung“ aus „innerstem Herzensgrunde“, denn, so der RZ-Beitrag vom 22.03.1933: „Menschenherzen kann man nicht kommandieren“.
Aufmarsch von 5000 Hilterjungen des Vestes Recklinghausen (Nationalzeitung 28.05.1935)
Anders als bei den „staatlich verordneten“ und „gleichgültig, alltäglich“ absolvierten Festtagen der Republik ginge es den Nationalsozialisten um emotionale Erfassung. Im Jahresrhythmus boten „Tag der Machtergreifung“, „Führergeburtstag“, „Tag der nationalen Arbeit“ oder „Heldengedenktag“ immer wieder Gelegenheit zu eindrucksvollen Inszenierungen, für die „Fackeln, solange der Vorrat reicht“, bereitgestellt wurden.
Nächtliche Fackelmärsche, festlich mit Fahnen geschmückte Straßen, feierliche Reden, lautstarke Musik und die uniforme Einverleibung des Einzelnen trugen zu diesen Gemeinschaftserlebnissen bei. Hinzu kamen Sonderveranstaltungen, wie die des Banns 252 Vest, der „jungen Garde der deutschen Revolution“, mit 3500 Hitlerjungen im März 1934, der Aufmarsch von 5000 Hitlerjungen zur „Woche der westfälischen HJ“ im Mai 1935 oder im September der festliche Empfang der Heimkehrer vom Reichsparteitag in Nürnberg, dem alljährlichen Höhepunkt der Selbstinszenierung von Führer und „Bewegung“ im Dritten Reich.
[Vgl. 1.7 „Fackeln, solange der Vorrat reicht“ für die „hochlodernde, nationale Begeisterung (Alter Marktplatz), in: Geck, Möllers, Pohl, „Wo du gehst und stehst…“ , Stätten der Herrschaft, der Verfolgung und des Widerstandes in Recklinghausen 1933-1945, Recklinghausen 2002, S. 27-29]