An der Halterner Straße 4 a befand sich während der NS-Zeit die Dienststelle der Hitler-Jugend (HJ): Bann 252 – Vest Recklinghausen. Der Bann gliederte sich in sieben Unterbanne, 31 Gefolgschaften, eine Marineunterbann, eine Fliegerunterbann und eine Motorsportgefolgschaft. Da er das Gebiet des gesamten Stadt- und Landkreises Recklinghausen umfasste, war das Haus somit die Herrschaftszentrale der HJ im Kreisgebiet.
Das Ziel der HJ bestand in der Erziehung junger Menschen zu überzeugten Nationalsozialisten, d. h. zu „Volksgenossen“, die sich zur NS-Weltanschauung bekannten und sich bedingungslos in die NS-Volksgemeinschaft einordneten: „Du bist nichts, dein Volk ist alles“, so lautete die Losung.
HJ-Werbe-Aktionen am Viehtor, auf dem Markt und auf der Breite Straße (National-Zeitung 28.5.1935)
Die Hitler-Jugend – sie erhielt diesen Namen 1926 – war zunächst nur die Jugendorganisation der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) und damit eine Jugendorganisation neben vielen anderen. In den ersten Jahren der NS-Herrschaft war der Eintritt in die HJ noch freiwillig.
Doch schon bald wurde die Mitgliedschaft in dieser NS-Organisation für alle deutschen Jungen und Mädchen verpflichtend gemacht. Diejenigen, die sich dieser Mitgliedschaft verweigerten, mussten mit schwerer Bestrafung rechnen. Die 10 bis 14-jährigen Jungen wurden im „Deutschen Jungvolk“ (DJ) organisiert; die 10 bis 14-jährigen Mädchen nannte man „Jungmädel“ (JM); die 15 bis 18-jährigen Jungen fasste man in der Hitler-Jugend (HJ), die 15 bis 18-jährigen Mädchen im „Bund Deutscher Mädchen“ (BDM) zusammen. Die Hitler-Jugend sollte, wie ihr Name signalisierte, auf den Führer Adolf Hitler eingeschworen werden. Nicht von ungefähr sang man damals in der HJ ein Lied, dessen Refrain lautete: „Führer, befiehl, wir folgen dir.“ Im NS-Alltag bedeutete dieser „Schwur“, dass sich jeder Hitlerjunge und jedes Mitglied des BDM seiner Führung in unbedingtem Gehorsam unterzuordnen hatte. Die Organisation der HJ spiegelte somit die Befehls- und Gehorsams-Struktur des totalitären NS-Staates in signifikanter Weise wider.
Der Recklinghäuser Helmut Geck (geb. 1931) erinnert sich: „1941 trat ich mit 10 Jahren als `Pimpf´ – so nannte man die jüngsten Hitlerjungen – in das Deutsche Jungvolk (DJ) ein. Ich gehörte zum `Fähnlein 15`. Die kleinste Einheit innerhalb des Fähnleins bildete die `Horde´. Mein Hordenführer war einer meiner Klassenkameraden; er durfte uns `führen´, obwohl er nicht älter war als wir. Denn in der Hitler-Jugend galt die Parole: `Jugend muss von Jugend geführt werden´.
Unser Dienst im Deutschen Jungvolk fand jeden Mittwoch- und Samstagnachmittag nach der Schule statt. Er begann mit dem Fahnenappell, zu dem das Fähnlein in Reih und Glied geschlossen antrat: die Hakenkreuzfahne wurde auf Befehl des Fähnleinführers gehisst, wir grüßten sie mit ausgestrecktem rechten Arm und riefen dabei ´Heil Hitler´. Nach dem Fahnenappell machten wir `Ordnungsdienst´, trieben Sport oder nahmen an einer NS-Schulung teil.
Hinter der Bezeichnung `Ordnungsdienst´ verbarg sich vormilitärischer Drill. Im Zuge der nationalpolitischen Erziehung versuchte man, uns auf die NS-Ideologie einzuschwören. So musste die Geschichte der NSDAP, der einzigen im `Dritten Reich´ zugelassenen politischen Partei, jedem Jungen zu jedem Zeitpunkt gegenwärtig sein.
Jungvolk-Jungen!
Jungvolkjungen sind hart,
Jungvolkjungen sind tapfer,
Jungvolkjungen sind treu.
Jungvolkjungen sind grad und fest,
Jungvolkjungen sind wahr,
Jungsvolkjungen sind Kameraden.
Das Größte ist ihnen die Ehre!
(National-Zeitung, 8.5.1935)
Zum anderen übten wir deutsche Fahrten- und NS-Kampflieder ein, damit wir während der regelmäßigen Aufmärsche innerhalb der Stadt markig singen konnten. Schließlich lernten wir den Lebenslauf Adolf Hitlers und die `Sieben Schwertworte´ auswendig. Der Lebenslauf Hitlers wurde uns in einer ausformulierten und in einer für alle verbindlichen Version `beigebracht´ und so lange wiederholt, bis ihn (fast) jeder beherrschte. Ich kann Teile dieses Lebenslaufes noch heute zügig hersagen. Die `Sieben Schwertworte´ spiegelten das Selbstverständnis des deutschen Hitlerjungen wider. Eines dieser Worte, das ich im Gedächtnis behalten habe, lautete: `Jungvolkjungen sind hart, schweigsam, tapfer und treu. Der Jungvolkjungen Höchstes ist die Ehre´.“
[Vgl. 2.5 „Führer befiehl, wir folgen dir!“ Erziehung in der Hitler-Jugend (Halterner Str. 4a), in: Geck, Möllers, Pohl, „Wo du gehst und stehst…", Stätten der Herrschaft, der Verfolgung und des Widerstandes in Recklinghausen 1933-1945, Recklinghausen 2002, S. 65-66]