Das heute noch existierende Schulgebäude war am 2. Juli 1908 mit „patriotischen Gesängen“, wie die Ortspresse berichtete, eröffnet worden. Das doppelflügelige Eingangsportal rechts führte in den einzigen Klassenraum für den Unterricht des 1. - 8. Jahrgangs. Außerdem beherbergte das Gebäude im Keller die Mikwe, das religiöse Bad, und die Lehrerwohnung über dem Klassenzimmer, für die es links einen separaten Eingang gab. 1908 hatte die Jüdische Gemeinde den Bau der Kommune übereignet, die dafür im Gegenzug die Garantie der laufenden Kosten des Schulbetriebs übernommen hatte. Bis zum 18.12.1933 hatte der Rabbiner, wie der jeweils dienstälteste evangelische und katholische Pfarrer, der städtischen Schuldeputation angehört.
Lediglich ein Lehrer deckte den Unterricht für 27 Kinder (1933/34) ab. Freundschaften, gemeinsamer Schulweg und eine sicher qualifiziertere Ausbildung in mehrklassigen Schulsystemen waren deshalb gute Gründe für Eltern, ihre Kinder christliche Volksschulen in ihrem Stadtteil besuchen zu lassen. Am 09.09.1933 allerdings wurden laut Beschluss der Schuldeputation alle jüdischen Schüler zum Besuch der Israelitischen Volksschule verpflichtet. Damit übertrug die Stadt eine Reichsregelung auf Recklinghäuser Verhältnisse. So waren im nächsten Schuljahr 36 Schülerinnen und Schüler an der Volksschule; weitere 14 noch an weiterführenden Schulen registriert. 1937/38 lautete das Zahlenverhältnis 23:7.
1939 nach der Verweisung aller Juden von weiterführenden Schulen gab es nur noch insgesamt 12 jüdische Schüler in der Stadt. Diese Zahlen sind Spiegelbild der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entrechtung des jüdischen Bevölkerungsteils, der durch Umzug in größere Städte oder Emigration zu einem Rückgang der Gemeinde von 411 (1933) auf 210 (1939) Mitglieder geführt hatte. Josef Münster (1922 - 1986) beispielsweise, jüngerer Sohn des Möbelkaufmanns Heinrich Münster, Steinstr. 13, verließ die Volksschule 1935 und besuchte die zionistische Ort-Schule in Berlin, die für Handwerksberufe als Voraussetzung für die Einwanderung nach Palästina ausbildete. In der Pogromnacht 1938 verhaftet, gelang ihm 1939 mit einem „Jugendtransport“ die Ausreise nach Holland, von dort die Emigration nach Palästina.
1937 zog der neue Lehrer Erich Jacobs mit seiner Familie in die Dienstwohnung ein. In der Pogromnacht 9./10. November 1938 wurde er bei der Erstürmung des Hauses aus dem Fenster seiner Etagenwohnung im 1. Stockwerk auf die Straße geworfen, blutüberströmt in „Schutzhaft genommen“ und ins Polizeipräsidium gebracht.
Im stark zerstörten Schulgebäude wurde ein NSV-Kindergarten eingerichtet; Unterricht für die jüdischen Kinder fand danach nur noch in einem Privatraum an der Kellerstr. 19 statt. Am 10.09.1941, vier Monate vor der Deportation der noch ansässigen Familien, wurde beim Regierungspräsidenten in Münster die Schließung dieser Schule registriert. Der Lehrerfamilie gelang gerade noch die Emigration nach Ecuador. Im Juni 1997 erhielt das Gebäude in Anwesenheit der Tochter Chana des gerade verstorbenen Rabbiners den Namen „Rabbi-Selig-Auerbach-Haus“.
[Vgl. 2.8 Israelitische Volksschule, in: Geck, Möllers, Pohl, „Wo du gehst und stehst…" Stätten der Herrschaft, der Verfolgung und des Widerstandes in Recklinghausen 1933-1945, Recklinghausen 2002, S. 72-73]