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Als „Sieg des Glaubens!“ beging die National-Zeitung in ihrer Ausgabe vom 12. Dezember 1935 die Feierlichkeiten zur Gleichschaltung der Schülerschaft an der Hittorf-Oberrealschule. Angesichts des bis dahin erreichten Organisationsgrades von 99 % der Schüler in der Hitlerjugend wurde vor den Hauptportal an der Kemnastraße feierlich die „Traditionsfahne der HJ gehißt!“ Den umfangreichen Beitrag verfasste die Pressestelle des HJ-Banns 252/Vest selbst und feierte darin den angeblich frühen „Nazigeist“ der Schule „der man den Namen ´Hitler-Oberrealschule` beigelegt hatte“. Die Erinnerungen an die Auftritte von „losen nationalsozialistischen Gruppen der Schülerschaft“ 1929/30 führten sogar 1935 zur Benennung eines HJ-Heims in König-Ludwig nach einem der bereits verstorbenen Mitglieder des NS-Schülerbundes. Öffentlich diffamiert wurden aber auch die damaligen Gegner, so die Lehrer Ortmann und Roters als „jene Elemente, … die sich bewußt einer antideutschen Haltung befleißigten.“
„Hätte es an den deutschen Schulen und Universitäten und Hochschulen in den kritischen Jahren mehr humanistische Pädagogen vom Schlage eines Franz Nauen, eines Karl Roters, eines Xaver Verron, eine Albin Ortmann […] gegeben, dann hätte das einen Anstoß zur kritischen Wachsamkeit und zum Widerstand […] bilden können“, urteilte umgekehrt später der Schriftsteller und damalige Hittorf-Schüler Heinrich Schirmbeck über die hier Angegriffenen.
Bereits 1931 hatte der damals einzige NSDAP-Stadtverordnete Paul Faßbach eine Kampagne gegen Ortmann veranstaltet und dabei Unterrichtsmaterial verwendet, das ihm aus Kreisen des am Hittorf gegründeten NS-Schülerbundes zugespielt worden war. Albin Ortmann (1880 - 1960), in Eichsfeld geboren und zwischen seinem 12. und 17. Lebensjahr in einem belgischen Jesuitenkolleg erzogen, hatte im Zusammenleben mit Flamen und Wallonen die Beschränktheit nationalistischen Denkens überwinden gelernt und stellte seinen Schülern den chauvinistischen Militarismus als Hauptgegner der Völkerverständigung vor. Damit gehörte der auch im caritativen Bereich, als Verfasser regionalgeschichtlicher Studien und als Organisator des Schüler-Kirchenchors aktive Studienrat in der Weimarer Republik zur verschwindenden Minderheit Engagierter in Friedensgruppen. Mit seiner antimilitaristischen, auf Versöhnung mit Frankreich ausgerichteten Grundeinstellung stand der „berüchtigte Pazifist“ Ortmann der NS-Ideologie diametral gegenüber, die den Pazifismus als „politisches Werkzeug des französischen Nationalismus, des jüdischen Finanzimperialismus und [die] Züchtung feiger Gesinnung“ diffamierte.
Die Hitlerjugend hisst ihr Banner an der Hittorf-Oberrealschule (Nationalzeitung 12.12.1935)
Im Juni 1933 leitete der Oberpräsident ein Verfahren gegen den 53jährigen Ortmann ein, nachdem NSDAP und NS-Lehrerbund „schwerwiegende Anklagen“ gegen ihn erhoben hatten. Das euphemistische „Gesetz zur Wiedererstellung des Berufsbeamtentums“ genannte Paragraphenwerk vom 7. April 1933 schuf die legalistische Fassade für eine politisch-ideologisch motivierte Säuberungsaktion des Beamtenapparats. Neben der vorgesehenen Entlassung „nicht arischer“ Beamter bot vor allem Artikel 4 den erwünschten Ansatzpunkt:
„Beamte, die nach ihrer bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür bieten, dass sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten, können aus dem Dienst entlassen werden.“ Letzter Anlass zur Einschätzung der Behörden, eine „Umstellung“ seines Verhaltens angesichts seines „Unverständnisses für das nationale Fühlen“ nicht erwarten zu können, war Ortmanns Kritik an Form und Inhalt der reichsweiten Leo-Schlageter-Feiern. Auch am Hittorf war anlässlich des 10. Jahrestages der Hinrichtung Schlageters durch französische Besatzungstruppen am 26.05.1923 eine Heldenfeier in der Aula inszeniert worden. Ortmanns Kritik am Heldenkult, in einer Diskussion im Unterricht geäußert und von Schülern weitergegeben, lieferten während des laufenden Verfahrens den letzten Beweis.
„Pazifist Ortmann zwangsbeurlaubt!“ konnte in der National-Zeitung ein junger Journalist jubeln, der als Gründer des NS-Schülerbundes an der Oberrealschule 1930 gegen die Lehrerschaft für den „Sieg des Glaubens“ gekämpft hatte und dort selbst 1932 sein Abitur gemacht hatte. Der vierfache Familienvater Albin Ortmann wurde so das Opfer der Zusammenarbeit örtlicher Gesinnungstäter und der pseudo-legalen Vorgehensweise des inzwischen dem NS-Machtanspruch unterworfenen Behördenapparates.
Als Folge der Sippenhaftung wurde Albin Ortmanns jüngster Tochter ein Jahr nach seiner Entlassung 1934 auf Intervention des NSDAP-Gaupersonalamtes die Hochschulreife am Lyzeum in Recklinghausen mit dem Vermerk verweigert: „Ortmann ist alter eingeschworener Zentrumsmann, der sich der heutigen Zeit noch nicht anpassen kann.“
[Vgl. 1.10 Mit dem Beamtengesetz zum „Sieg des Glaubens“ über einen „berüchtigten Pazifisten“ (Hittorf-Gymnasium), in: Geck, Möllers, Pohl, „Wo du gehst und stehst…“ , Stätten der Herrschaft, der Verfolgung und des Widerstandes in Recklinghausen 1933-1945, Recklinghausen 2002, S. 35-37]