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Der Städtische Saalbau an der Dorstener Straße war seit seiner Grundsteinlegung 1897, damals Kaisergartensaal genannt, ein beliebtes Veranstaltungshaus des geselligen und kulturellen Lebens der Stadt. Nach umfangreichem Umbau 1925 verfügte er über 1.500 Sitzplätze. Eine Festschrift bemerkte damals: „Ein Blick in den großen Saal genügt zu beweisen, dass hier Vorbildliches geschaffen ist, das seinesgleichen im weiten Umkreise sucht … .“ Damit bot der Saalbau natürlich auch die besten Voraussetzungen für die Propaganda-Veranstaltungen der örtlichen Nationalsozialisten.
Der Nationalsozialismus war eine politische Bewegung, die nicht an die Vernunft der Menschen, sondern vor allem an ihr Gefühl appellierte. Mit der ideologischen Kunstfigur der „Volksgemeinschaft“ wurde jedem einzelnen suggeriert, Teil einer großen Bewegung zur Befreiung und Erlösung des deutschen Volkes zu sein. Die Auserwähltheit der Deutschen, die ihr Führer Adolf Hitler aus der Erniedrigung zur Weltherrschaft führen wollte, wurde von der nationalsozialistischen Propaganda mit religiösen Anleihen aus dem Christentum in festen Ritualen zelebriert.
Ziel war es, die Massen an die Idee des Nationalsozialismus zu binden, nationalsozialistische Herrschaft und Krieg als das von Gott gewollte Erlösungswerk des Führers erscheinen zu lassen. Die liturgische Anlage von Feiern und Gedenktagen war den Machthabern so wichtig, dass zu dieser Thematik eigens eine Zeitschrift erschien. Neben den Lebensfeiern, die christliche Taufe, Kommunion/Konfirmation, Trauung und Totenfeier langfristig ersetzen sollten, spielte vor allem die politische Feier eine große Rolle. Wie der christliche Feiertagskalender, so hatte auch der NS-Kalender seine feierlichen Höhepunkte, wie etwa den „Heldengedenktag“ am 5. Sonntag vor Ostern, der den Volkstrauertag der Weimarer Republik ablöste. An diesem Tag wurde 1935 die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht verkündet und der Einmarsch in die entmilitarisierte Zone des Rheinlandes begonnen. Als ebenso wichtiges Datum galt den Nationalsozialisten der 9. November, der „Tag der Gefallenen der Bewegung“ zum Gedenken an Hitlers (gescheiterten) Putschversuch vom 9. November 1923. An diesem Tag, der die gesamte NS-Führung in München versammelte, wurde bewusst die Reichspogromnacht von 1938 mit brutalen Ausschreitungen gegen die Deutschen jüdischen Glaubens und der Zerstörung ihrer Synagogen inszeniert.
Für die örtlichen NSDAP-Spitzen boten Gedenktage, Feiern, Aufmärsche und Totenehrungen willkommene Anlässe, sich in Szene zu setzen. Der Städtische Saalbau gab den kultischen Ritualen den angemessenen äußeren Rahmen. So auch der 3. November 1940, als die NSDAP-Kreisleitung zu einer Morgenfeier lud „zu Ehren der gefallenen Söhne des Vestes“. Die „Vestische Feldpost“ beschrieb die Feier unter der Überschrift „Heldentod gebiert die Freiheit“: „In einer Morgenfeier gedachte die Kreisleitung Recklinghausen der NSDAP der gefallenen Söhne aus ihrem Hoheitsbereich… Es war keine Stunde vieler Worte, aber eine, in der heldische Musik und heldisches Wort zu Herzen sprachen … Allbeherrschend war in dem ernsten Schmuck des Saales das Eiserne Kreuz, umwunden mit dem Symbol des deutschen Heldentums, mit dem Eichenlaub … SA-Brigadeführer Vogel verlas die Namen der Gefallenen … Mit ihnen zogen erst einmal die großen Abschnitte dieses Krieges an uns vorüber. Polen, Norwegen, dann Holland, Belgien und Frankreich. Aber auch die Kämpfe zur See und in der Luft haben Opfer aus dem Vest gefordert … Das aber, was der Sinn des Opfers war, steht vor der Vollendung: der Sieg … Kreisleiter Brauns entließ die Feierstunde in dem Gruß an das ewige Deutschland, in dem Gruß an seinen kühnsten und herrlichsten Sohn, Adolf Hitler.“
Zwischen den Ansprachen der Partei-, Wehrmacht- und SA-Führer spielte das städtische Orchester die Coriolan- und Egmont-Ouvertüre von Beethoven, wobei Musikdirektor Hegmann „beiden Werken das Äußerste an zuchtvoller Eindringlichkeit“ gab. Orgeltöne begleiteten das Vorlesen der Namen der Gefallenen. Noch einmal erklang die Stimme des Sprechers auf. In erhabener Größe erstanden die Worte aus der `Edda´: „Ewig ist der Toten Tatenruhm.“ Zum Zeitpunkt der Morgenfeier stand Deutschland 14 Monate im Krieg. Bis zum völligen Zusammenbruch des Nationalsozialismus in Recklinghausen und dem Einmarsch der Amerikaner am 1. April 1945 sollten noch 53 Monate vergehen.
[Vgl. 3.3 „Ewig ist der Toten Tatenruhm“. Nationalsozialistischer Feierkult (Saalbau), in: Geck, Möllers, Pohl, „Wo du gehst und stehst…" Stätten der Herrschaft, der Verfolgung und des Widerstandes in Recklinghausen 1933-1945, Recklinghausen 2002, S. 121-122]