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Die anfangs uneinheitliche Bestrafung von Ausländern, die sich dem Arbeitseinsatz widersetzten, wich bald einem zentralisierten und nach genauen Kriterien festgelegten System, das reichsweit vereinheitlicht wurde. Arbeitsämter und Gestapo übernahmen die Rechtsaufsicht und die Durchführung. Um eine Überforderung der Sicherheitsbehörden zu umgehen, wurden Ausländer und Deutsche, die sich dem Arbeitsleben durch „Arbeitsbummelei“ oder Flucht entzogen, also einen „Arbeitsvertragsbruch“ begangen hatten, in ein Arbeitserziehungslager überwiesen. Die Erfahrungen, die die Nationalsozialisten mit dem Arbeitserziehungslager (AEL) Hunswinkel bei Lüdenscheid seit Juni 1940 gemacht hatten, „wurden von der Industrie des Ruhrgebietes und der Sicherheitspolizei so positiv eingeschätzt, dass in den nächsten Wochen weitere provisorische Lager eingerichtet wurden – zunächst in Recklinghausen“.
Am 25. Oktober 1940 fand beim Reichsverteidigungskommissar und Gauleiter Dr. Alfred Meyer eine Besprechung mit Vertretern der Chemieindustrie des nördlichen Ruhrgebietes statt. Die Verantwortlichen der Chemischen Werke Marl und der Ruhroel GmbH Bottrop hielten die bisherigen Maßnahmen gegen die „Arbeitsbummelei“ für unzureichend. Man verlangte verschärftes Vorgehen gegen das Nachlassen der Arbeitsdisziplin und die abwandernden ausländische Zwangsarbeiter. Diese Klage führte dazu, dass Anfang 1941 in Recklinghausen das zweite AEL eröffnet wurde. Als Standort favorisierten die örtlichen Entscheidungsträger den „Schützenhof“ an der Waldstraße in Grullbad. In dem Bericht über eine Ortsbesichtigung hieß es:
„Der Schützenhof liegt an der Peripherie der Stadt Recklinghausen, etwa eine halbe Stunde Fußweg von der Stadtgrenze entfernt, in einem städtischen Forst (niedriger Kiefernbestand). In seiner Umgebung befinden sich keinerlei Gebäude und Wohnstätten. Unmittelbar beim Schützenhof liegt dagegen ein Schießstand, der normalerweise von mehreren Schützengesellschaften benutzt wird. Der Oberbürgermeister sagte zu, den Schießstand zu schließen und die Wege, die durch den Forst zum Schützenhof führen, zu sperren. Damit wäre die erforderliche Abgeschlossenheit des Lagers vom Verkehr und von menschlicher Nähe gegeben. Die beiden zunächst vorgesehenen Arbeitsstellen (Erdbewegungen zur Errichtung eines Friedhofes und zur Legung einer Kanalisation) liegen in der Nähe des Schützenhofs, so dass sie in einem kurzen Fußmarsch von 10 bis 15 Minuten zu erreichen sind. Die Arbeitsstellen und der Weg dorthin liegen ebenfalls so einsam, dass eine Gewähr dafür gegeben ist, dass keine unnötige Berührung der Häftlinge mit Außenstehenden erfolgt … .“
Zwischen dem höheren SS- und Polizeiführer West, SS-Obergruppenführer Jeckeln und Emil Irrgang, einem „alten Kämpfer“ aus der SA und Oberbürgermeister von Recklinghausen, wurde ein Vertrag geschlossen, worin sich Recklinghausen verpflichtete, die Häftlinge mindestens 2 Jahre mit Erd- und Tiefbauarbeiten außerhalb des Stadtzentrums zu beschäftigen, während die zuständige Stapoleitstelle in Münster einen Mindestbestand von 100 Häftlingen garantieren musste:
„Verantwortlich für alle Fragen der Einrichtung des Lagers ist der Inspekteur der Sicherheitspolizei der SD.
Bereits bei der Eröffnung am 07.04.1941 wurden 20 weitere Häftlinge eingewiesen, bis zum 1. Mai folgten weitere 100. Bewacht wurden sie von 22 Polizeireservisten. Die Lagerverwaltung lag in den Händen der örtlichen Staatspolizeistelle. Wie in Hunswinkel so stellten auch im Schützenhof Deutsche die überwiegende Mehrheit der Häftlinge, obwohl die „Ausländerfrage“ im Wehrkeis VI heftig diskutiert wurde. Vor allem ging es um die „renitenten“ niederländischen und belgischen Arbeitskräfte, die zweitgrößte Gruppe unter den festgenommenen „Arbeitsbummelanten“ bildeten. Mit aller Härte wurden hier Arbeiter, die mehrfach für einen oder mehrere Tage mit der Arbeit aussetzten, zur „Gemeinschaftsfähigkeit“ erzogen. Im Jargon der Nationalsozialisten wurden sie als „Volksschädlinge“, „Bummelanten“, „Simulanten“, „Asoziale“ oder „Querulanten“ bezeichnet.
Im Volksmund nannte man die Häftlinge „Spähtrupp Glatze“, da sie mit kahlgeschorenem Kopf und geschulterten Spaten durch die Wohnviertel zu den Arbeitsstellen marschieren mussten. Im Falle von Arbeitsverweigerung während des Lageraufenthaltes wurden Entziehung der Mahlzeiten und des Bettlagers, Sonderarbeit oder Arrest angewendet. Im Rahmen ihrer Arbeitsaufträge bauten die Häftlinge unter anderem den Bunker an der Westfalenstraße in Hochlarmark. Sie arbeiteten auch für Firmen, die Bauarbeiten für die Stadtverwaltung durchführten. Im Frühjahr 1941 legten die Häftlinge einen neuen städtischen Friedhof an, andere schachteten Kanalisationsgräben aus. Im März 1943 ordnete der Inspekteur der Sicherheitspolizei an, das AEL Recklinghausen zugunsten der neuen Lager in Essen/Mühlheim auszulösen. Der bisherige Lagerleiter Josef Klann wechselte später nach Marl, wo er die Führung des neu eingerichteten Erziehungslagers bei den Chemischen Werken übernahm. Am 1.4.1943 wurde das Arbeitserziehungslager aufgelöst und die Insassen nach Essen/Mülheim überführt. Der Schützenhof wurde von der Organisation Todt übernommen und diente zur Unterbringung des OT-Schutzkommandos.
[Vgl. 3.13 „Die Arbeitszeit der Häftlinge beträgt je nach Wetterlage 10-12 Stunden täglich“ – Arbeitserziehungslager (Tierheim, Waldstraße), in: Geck, Möllers, Pohl, „Wo du gehst und stehst…" Stätten der Herrschaft, der Verfolgung und des Widerstandes in Recklinghausen 1933-1945, Recklinghausen 2002, S. 146-148]